ROST

Florian Neuner liest aus ROST. Eine psychogeografische Expedition. Einleitung Bernhard Widder

22.07.2022 | 19:00   ⬤ Lesung und Gespräch
Florian Neuner, Foto: Jörg Grüneberg
Florian Neuner, Foto: Jörg Grüneberg

Städte stellen in Florian Neuners „ROST“ nicht bloß Schauplätze dar, sie sind in gewisser Weise selbst die Protagonisten. Der Autor liest im Text der Stadt. Seine Lektüre urbaner Räume zielt einerseits auf die Vergegenwärtigung topografischer Zusammenhänge und das Aufspüren historischer Schichten. Andererseits geht es ihm darum, sich auf die Vielfalt von Texten einzulassen, die im Stadtraum offen zu Tage liegen. Der Autor verfeinert die bereits im Zuge seiner Erschreibung des Ruhrgebiets („Ruhrtext“, 2010) entwickelte singuläre Methode „literarischer Stadtforschung“ und wendet diese auf den Rust Belt, das ehemalige Zentrum der Stahl- und Automobilerzeugung der USA, an. Erfahrungen von Deindustrialisierung, schrumpfender Ökonomie und Armut verbinden den „Rostgürtel“ mit jenen des westdeutschen Städtekonglomerats. In Detroit und Cleveland aber weht ein schärferer Wind: Der Zusammenbruch des dominanten Wirtschaftssektors im Mittleren Westen, wo der Einsturz der „Blue Wall“ der Demokraten für die Wahl Trumps zum US-Präsidenten (mit)ausschlaggebend war, hinterlässt – ganz ohne sozialstaatlich abgefederten „Strukturwandel“ – einzig Ruinen und verbrannte Erde.

Florian Neuner verbindet dokumentarische und essayistische Herangehensweisen mit einem radikal subjektiven und empathischen Blick, der an der „Psychogeographie“ und den Umherschweif-Experimenten (Dérive) der Situationisten geschult ist. Die Recherchemethode des europäischen Fußgängers lässt grundlegende Widersprüche US-amerikanischer Städte umso deutlicher hervortreten. „ROST“ ist ein ebenso pointierter wie bestürzender Epitaph auf die korrodierten Industriegebiete in Michigan und Ohio. (Paul Pechmann, Ritter Verlag)

Florian Neuner
1972 in Wels, Oberösterreich, lebt als Schriftsteller und Journalist in Berlin, 2021/22 Stipendium „Grazer Stadtschreiber“; Studium der Germanistik und Philosophie in Wien und Berlin, Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Idiome-Hefte für Neue Prosa . Schreibt regelmäßig Beiträge für Deutschlandfunk, rbb und „Junge Welt“, Essays zur Neuen Musik, bildenden Kunst und Literatur. Zahlreiche Preise und Stipendien, zuletzt: „Outstanding Artist Arward“ des BKA-Kunst, 2022
Bücher u.a.: Rost (Ritter 2021), Ramsch (2019, destillery), Drei Tote (2017, Verlag P. Engstler)

Bernhard Widder
geb. 1955 in Linz, lebt in Wien. Schriftsteller, Architekt, Kurator von Ausstellungen. Veröffentlichte Lyrik, Essays, Monographien zu Herbert Bayer, Übersetzungen, einige Anthologien (mit Rainer Vesely). Zuletzt erschienen: Ausgewählte Gedichte (Podium Porträt, Wien 2015); Kätekõne / Sleng Ruk, Gedichte (Handgerede, estnisch-russisch, Tartu, Estland 2016); Herbert Bayer – Sepp Maltan: Italienische Reise, Monographie, mit Lucas Horvath, Fritz Schmidmair (Linz/Weitra 2017); Treffpunkt Mensch / Essays über Architektur (Wien 2018), Salon 1988 bis heute, Anthologie und Dokumentation (Wien 2019, mit R. Vesely).